Vor über 5 Jahren waren wir auf Hochzeitsreise in Costa Rica und New York und haben diese Reise teilweise dokumentiert (Texte: von meinem Mann, Bilder: von mir).
Hier geht es zum ersten Tag der Hinreise.
Posted on 21 December 2009
Continental Flug Co 51, nachts
Joah. Wir sind noch auf dem Hinflug. Gerade durchpflügt unser Flieger leichte Turbulenzen über Neufundland. Das klingt nach Abenteuer, nach einem alten Schoner in der rauhen Labrador-See, nach Seewolf und handpürierter frischer Kartoffel und sicher besser als „Stau am Kamener Kreuz“ – aber wer so wie ich kein unbedingter Freund des Luftverkehrs im allgemeinen und von hüpfenden Stahlkolossen in aberwitzigen Höhen im besonderen ist, der findet das Ganze gerade ein bisschen blöd. Meine Frau hält meine kaltschweißige Patschehand und lacht mich an, sie hilft mir damit sehr.
Übrigens vernehmen wir von den hinteren Plätzen seit geraumen Minuten kein unerträgliches badisch-amerikanisches Kauderwelsch mehr; sind das – nach nur einigen Stunden – bereits erste Anzeichen nachlassender Kommunikationskondition? Wir sind enttäuscht; wer sich anderthalb Stunden auf dem Flugzeug-Parkplatz über die Durchsagen der Deutschen Bahn zum „Ausstieg in Fahrtrichtung rechts“ unterhalten kann, dem hätten wir mehr zugetraut.
Auf der flugzeugeigenen Anzeigetafel lesen wir, dass mit unserer Landung in NY schon um 9:45 p.m. gerechnet wird. Auf unserem Reisebüro-Reiseplan steht da noch 1:40 p.m. – wir lachen herzlich und zerreißen das wertlose Stück Papier, das Reisenden doch eh nur eine Scheinsicherheit vermitteln soll, wenn man am heimischen Küchentisch die Route im Atlas nachzeichnet und die Tage verplant. Reisepläne sind Tand, Glitter, untaugliche Versuche. Nieder mit allen Fahr- und Flugplänen, Itineraries, Schedules – Freiheit für die Improvisation! Was später kommt, sehen wir halt dann.
New York Newark Airport, zwischen 2:00 und 6:15 a.m.
Auha, das war voreilig mit dem „Was später kommt, sehen wir halt dann.“ – denn wir sehen jetzt, was kommt und das ist nicht sehr erbaulich. Seit 10 p.m. Ortszeit haben wir amerikanischen Boden unter den Füßen. Seit etwa 10:30 p.m. haben wir unsere Gepäck (alle vier Teile) und dann stehen an einer Schlange vor dem „Airline Services“-Schalter, zusammen mit einer Schar von Passagieren aus diversen Flugzeugen unterschiedlicher Airlines, die alle Verspätung hatten.
Etwa drei Stunden später sind wir an der Reihe. Mittlerweile hat sich eine kleine Gruppe deutscher Mitreisender zusammengefunden, die abwechselnd mit ihren Reisebüros telefonieren oder mit Ausdrucken der Stiftung Warentest wedeln, die wiederum besagen, dass die Fluglinie auch bei Schlechtwetterausfällen für die entstandenen Unkosten aufkommen müsste, jedenfalls dann, wenn die Flugreise in der Europäischen Union erworben wurde. Mit diesen beruhigenden, aber in dieser Situation nicht zielführenden Informationen stehen wir bei dem Continental-Mitarbeiter asiatisch-amerikanischer Herkunft am Schalter. Zur Erinnerung: Seit gut viereinviertel Stunden sitzen die Continental-Kollegen einer aufgebrachten Menge von hunderten – im Wortsinne: hunderten – übermüdeten, frustrierten, aufgebrachten, mit fremdsprachigen Ausdrucken wedelnden Touristen aus aller Herren Länder gegenüber und tun was sie können.
Denn es gibt ein Problem: Alle Maschinen nach San José sind überbucht. Auf der Standby-Liste würden auch schon Dutzende Passagiere stehen, unter anderem der Mann von der Stiftung Warentest; sinngemäß radebrecht er, diese Verzögerung würde die Airline teuer zu stehen kommen, wenn sie ihn nicht in die nächste Maschine setzt. Auch nach Houston, von wo aus Continental ebenfalls nach San José fliegt, gebe es keine verfügbaren Plätze mehr, nur noch Standby sei was zu machen. Weil wir irgendwie sehr verzweifelt wirken, entwirft der freundliche Dienstleister einen kühnen Plan: Es gebe noch Plätze in der Maschine um 6:15 Uhr nach Cleveland, Ohio. Von dort gebe es einen Flug nach Houston, Texas, der nicht überbucht sei und für den es eine jungfräuliche Standby-Liste gebe, auf die er uns setzen könne. Für den Weiterflug von Houston nach San José noch am selben Nachmittag gibt er uns dieselbe Auskunft. Ein Silberstreif am Horizont, nach diesem Plan wären wir schon Montag abend in Costa Rica. Und lieber durch die Gegend fliegen als am Flughafen rumsitzen, allem Respekt vor der Luftfahrt („Flugangst“ ist so ein großes Wort und im übrigen überstrapaziert) zum Trotz. Gesagt, getan, wir buchen den Flug nach Cleveland, Ohio, und ziehen mit zwei Gastronomie-Gutscheinen à $12 ab, um zu frühstücken. Kurz bevor wir den Saal verlassen, gibt es einen Tumult, denn eine der Schalterladies verkündet, dass diese Räumlichkeiten in einer halben Stunde (um 2:30 a.m. Ortszeit) schließen würden und weitere Anliegen an einem anderen Schalter in einem anderen Terminal bedient würden. Hui, da war was los. Touristen reagieren nach vier Stunden Schlange stehen um 2 Uhr morgens irgendwie misslaunig.
Nach einem wohlschmeckenden Frühstück im 24-Stunden-McDonald’s, bei dem wir Leidensgeschichten und Beschwerdetipps mit zwei Pärchen aus Deutschland austauschen, gehen wir zum Schalter, checken unser Gepäck in Ruhe ein und verlassen Newark pünktlich um 6:15 a.m., mit dem guten Gefühl, es bald geschafft zu haben. Nur noch drei Starts und Landungen und wir sind schon da…Dass wir die erste Nacht unserer Hochzeitsreise in einer Schlange vor einem Airline Services-Schalter verbracht haben, fällt da schon kaum mehr ins Gewicht.
Houston, Texas, George Bush Airport, mittags
Da sind wir auch schon, schwuppdiwupp, an einer weiteren Zwischenstation angelangt. Läuft ja alles wie am Schnürchen. Der lustige Pilot auf dem Flug nach Cleveland meinte zwar, mich mit ausreichend Adrenalin bis zum Ende der Reise versorgen zu müssen, als er kurz vor der Landung das Bordpersonal auf die Sitze beordert und meint, der Landeanflug könnte ein bisschen „bumpy“ werden. Letztlich war aber nix und schon auf der Gangway war mein Puls wieder im zweistelligen Bereich – nur um kurz darauf wieder Richtung 200 zu steigen, denn wir haben nur eine dreiviertel Stunde, um die Maschine nach Houston zu kriegen, Check-in und Gepäckaufgabe inklusive. Also ran ans Gepäckband, Rucksäcke, Tasche und Mixer runter, zum Check-in-Schalter, alles aufgeben (die Schalterlady ruft uns „Good luck“ hinterher – that’s the spirit!), durch die Sicherheitskontrolle und mit offenen Schuhen, Gürtel in der Hand und Hose auf Halbmast zum Flugsteig gerannt. Der amerikanische Humor honoriert solche Einlagen mit freundlichem Gelächter und aufmunternden Zurufen. Am Gate angekommen erfahren wir, dass die Maschine an sich voll sei. Während eine Ticketabreissdame uns beruhigt, wandern zwei weitere (!) Continental-Mitarbeiterinnen durch den Flieger und schauen nochmal persönlich nach. Die Inspektion ergibt auf wundersame Weise noch zwei freie Plätze, nach kurzen Verhandlungen mit einer Mitreisenden sitzen wir sogar nebeneinander – worauf ich unter keinen Umständen aus den bekannten Gründen (siehe vorhergehende Posts, Stichwort Luftfahrt-Respekt) verzichten möchte. Dann also ab nach Houston.
In Houston angekommen, können wir es ruhiger angehen lassen, denn wir haben sechs Stunden Aufenthalt. Daraus werden dann siebeneinhalb, denn die Maschine aus San José hat Verspätung. Da kommen ungute Erinnerungen auf, aber wir sehen unserem zweiten Standby-Flug gelassen entgegen, schließlich hat es in Cleveland auch geklappt. Vor der Sicherheitskontrolle – Schuhe aus, Gürtel aus, alles auf’s Band, das übliche Procedere – spricht uns ein freundlicher texanischer Sicherheitsoffizier auf unseren offenbar desolaten Zustand an, wir sollten aufwachen und nicht so schläfrig aussehen. Wir erläutern ihm kurz unseren bisherigen Reiseverlauf; er pfeift durch die Zähne und spricht uns mit einem aufrichtigen „It sucks to be you“ sein Mitleid aus. That’s nicht so ganz the spirit. Im gleichen Atemzug empfiehlt er uns aber einen Starbucks an Gate Nr. 1, das war dann wieder nett.
Unseren ersten von zahlreichen Airline-beruhigt-ihre-aufgebrachten-Passagiere-Essens-Gutschein verprassen wir bei „Pappasitos“, einem echten Tex-Mex-Fastfood-Schuppen mit lecker Nachos und Tortilla in allen möglichen Käse-Bohnen-Fettig-aber-lecker-Dips. Satt und ein wenig schläfrig gehen wir schon vier Stunden vor dem Boarding zu unserem Gate, denn wir wollen ja unbedingt mitfliegen; die Voraussetzungen sind ganz gut, denn wir sind ja ganz oben auf der Standby-Liste.
Hilton Houston North, 10:30 p.m.
Houston ist nicht San José. Wir sind hängengeblieben. Die Tücken des Standbys. Und das war passiert:
Am Gate lernen wir eine fünfköpfige Familie aus dem Allgäu kennen, die sonntags in Frankfurt das Volunteer-Programm mitgemacht hat und jetzt 2000 $ reicher und auch in Houston, Texas, ist und jetzt nur noch nach San José fliegen möchte. Wir fühlen uns irgendwie unclever und fürchten um unsere Standby-Plätze. Aber: Wir sind oben auf der Liste, wenn hier jemand mitfliegt, dann ja wohl wir. Aus dem Augenwinkel registrieren wir, wie die spanischsprachigen Boarding-Beauftragten von Continental geheime Absprachen mit einer mexikanischen Familie und mit einem costaricanischen Geschäftsmann treffen, aber: Wir sind oben auf der Liste, wenn hier jemand mitfliegt… Während wir noch auf den Zubringer-Flieger aus Amsterdam warten – auf so eine Idee hätte ja auch gestern in New York bei unserem Zubringer-Flug aus Frankfurt mal einer kommen können -, werden die dreiköpfige mexikanische Familie und der Geschäftsmann unauffällig an Bord geschleust. Wir sind immer noch oben auf der Liste, wenn hier… Endlich sind alle Passagiere an Bord und wir werden aufgerufen. Wir springen auf, klatschen uns innerlich ab und wollen durch den Tunnel an Bord gehen, als wir freundlich darauf hingewiesen werden, dass nur noch ein Platz frei sei, ob wir getrennt fliegen wollten. Das kommt für uns aus bekannten Gründen (siehe vorstehende Posts, Stichwort Hochzeitsreise) nicht in Frage und so bleiben wir halt in Houston. Wenn der Geschäftsmann nicht mitgeflogen wäre… Aber egal, nachkarten bringt nix, anderen geht es noch schlechter. Die jüngsten Mitglieder der Allgäuer Familie, die auch nicht mitkommt und die schon längst in San José sein könnten, wenn sie nicht freiwillig und des schnöden Mammons wegen aus ihrem problemlos durchgekommenen früheren Flieger aus Frankfurt ausgestiegen wären, fangen an zu mosern, erste Tränen fließen. Wir fühlen uns moralisch überlegen, wegen 2000 $ soll kein Kind weinen müssen und wir hätten das nie gemacht.
Mit dem Gefühl der moralisch-weltanschaulichen Integrität gehen wir zum Continental Customer Service. Wir brauchen Hilfe, sind aber gleichzeitig mächtig sauer. Wo kommen wir denn da hin, wenn man ganz oben auf der Liste steht und dann nicht mitkommt? Die Boarding-Tante hatte auf energische Nachfrage nur schnippisch geantwortet, die Prioritäten hätten sich halt geändert. Ach so. Die Gattin weist mich darauf hin, dass Maulen nicht zielführend sei. Am Kundenbeschwerdenschalter ändern wir unsere Strategie und gehen voll auf Schmusekurs. Die Frau auf der anderen Seite der Theke ist daraufhin unglaublich hilfreich: Wir bekommen ein freundliches Lächeln und – Hurra! – Standby-Tickets nach San José. Wir sind jetzt auf den Rängen 5 und 6 der Standby-Liste, aber wir wissen ja *zwinker* dass sich Prioritäten ändern können. Außerdem gehen an dem Tag vier Flüge nach San José und bei einem wird es ja wohl klappen. Zum Schluss vermittelt sie uns noch ein Hotel und wir trollen uns ins Hilton Houston North, einem riesigen Kasten voller gestrandeter Touristen, aber – und das ist jetzt wichtig – mit einer Dusche und einem Bett für uns. Nach den letzten Stunden tut uns beides gut, wir sind seit 44 Stunden auf den Beinen; angenehm auch der dicke Burger und das Clubsandwich vom Room Service. Jetzt erstmal ein paar Stunden schlafen, morgen müssen wir in aller Herrgottsfrühe wieder an irgendeinem Gate sein und standbyen, aber dann sind wir bestimmt bald in Costa Rica.